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Fotos im Kopf – oder warum Fußballer weise Menschen sind

Der Urlaub ist – wie immer – viel zu schnell vorbei gegangen. Ich bin wieder zu Hause. Zeit, das Vergangene Revue passieren zu lassen, denn die Erlebnisse wirken noch nach. Das soll auch so sein, denn nicht umsonst ist man bemüht, die schönsten Momente für die Ewigkeit festzuhalten. Als Videoaufnahme oder Foto – Hauptsache ist, die Erinnerungen bleiben erhalten. Auch beim Angeln habe ich meine Kamera deshalb immer im Gepäck.

Leihboote von John Chowns (johnnyrelease.de)

Aber nun zurück zum Urlaub: 14 Tage in den Niederlanden, begleitet von Frau und Kindern, Angelruten und reichlich Kunstköder im Gepäck. Denn das ernannte Ziel dieses Urlaubs sollte neben der obligatorischen Erholung und dem Auffüllen des Akkus auch endlich der langersehnte Meterhecht sein. Schon oft habe ich es probiert, auf eigene Faust oder von professionellen Guides begleitet und Fische im Bereich zwischen 90 und 95cm habe ich bereits mehrere fangen dürfen. Nur für den ganz großen Wurf, die magische Metermarke hat es bisher noch nicht gereicht. Das sollte sich nun in diesen zwei Wochen ändern. Unser Reiseziel war Nunspeet, direkt gelegen am Veluwemeer, einem Gewässer mit einem erwiesenermaßen wirklich außergewöhnlichen Hechtbestand.

Um die große Wasserfläche möglichst effizient beangeln zu können, hatte ich mir im Vorfeld ein Boot von John Chowns (www.johnnyrelease.de) reserviert, dass mir für eine Woche zur Verfügung stehen würde. Komplett ausgestattet mit Echolot und Elektromotor sind die Leihboote eine tolle Möglichkeit, den Pikes auf die Schuppen zu rücken. Die Ausgangsposition war also denkbar gut, das Wetter in den ersten Tagen mit Temperaturen um 22 Grad und Windstärken von 15 – 20kmh für die Hechtangelei beinahe optimal.

Einen Tag musste ich noch warten, bis ich das Boot abholen konnte, daher schnappte ich mir kurzerhand das Auto und machte in Begleitung meines Bruders, der spontan zu einem Kurzbesuch zu uns gekommen war, die nähere Umgebung unsicher. Schnell waren in der Visplanner-App ein paar Spots ausgemacht, die wir uns in der Realität anschauen wollten und an einem dieser Spots, einem Sperrtor an einem schmalen Kanal, bekam ich dann auch den ersten Fischkontakt.

Schnell stellte sich heraus, dass der Verursacher des knallharten Bisses nicht von schlechten Eltern sein konnte. Wuchtige Kopfschläge und das charakteristische Klackern der Bremse unterstrichen diesen Eindruck schnell. Der Fisch nahm Schnur und es entwickelte sich ein aufregender Drill, bei dem es mir gelang, mehrere brenzliche Situationen zu überstehen. Wohl auch, weil ich auf der Betonkonstruktion des Sperrtors etwa 4 Meter über der Wasserfläche stand. So hatte ich die Möglichkeit, die Schnur von den Betonträgern und Holzgestellen im Wasser fernzuhalten – zumindest solange, bis der Kontrahent am anderen Ende der Schnur sich überlegte, dass der Drill dadurch ja noch etwas spannender sein könnte.

Nach nervenaufreibenden Minuten schoss mir dann ein beängstigender Gedanke durch den Kopf: Hatte ich beim vorangegangenen Köderwechsel auch das Stahlvorfach angeknüpft? Natürlich nicht! Der Angstschweiß stand mir nun auf der Stirn. Als ich kurz darauf den Fisch zum ersten Mal an der Oberfläche sah, stellte sich gleich die nächste Frage. Wie lande ich das Biest denn jetzt?

Der Fisch war mittlerweile zwar ermüdet, aber von meinem erhöhten Standpunkt aus, war an eine Handlandung nicht zu denken, eine Landung mit dem zu kurzen Kescher nicht möglich. Mein Bruder machte sich also mit dem Landewerkzeug auf den Weg ans Ufer, während ich den Hecht langsam auf ihn zu dirigierte. Es kam, wie es kommen musste. Bei so viel Glück während des Drills, musste es irgendwann aufgebraucht sein. Und so schüttelte der Fisch mit letzter Kraft seinen Kopf und das Vorfach gab nach. Der Fisch bekam scheinbar zunächst gar nicht mit, stand regungslos vier Meter unter meinen Füßen an der Wasseroberfläche.

Christian Wegmann: Schnurbruch

Mein Bruder, der sich zwischenzeitlich durch den breiten Schilfgürtel an das Ufer gekämpft hatte, kam zu spät. Sekunden später war der große Fisch abgetaucht. In mir stritten Enttäuschung und Erschöpfung, Aufregung und Adrenalin um die Vorherrschaft auf dem Schlachtfeld meiner Emotionen. Für ein (Fang-)Foto reichte es an diesem Tag nicht. Trotzdem wird mir der Drill noch in Erinnerung bleiben – als Foto in meinem Kopf.

Bei aller Enttäuschung blieb mir noch viel Zeit und ich wertete das Geschehen erst einmal als guten Auftakt in den Urlaub. Offenbar hatte ich ja auch eine Menge richtig gemacht: der Spot war gut, der Fisch auf die Täuschung durch den von mir gewählten Gummi hereingefallen und trotz des Ausgangs fühlte ich mich schon irgendwie als Sieger des Drills, auch wenn ich den Fisch nicht in den Händen halten durfte. Viele Profi-Fußballer finden auch nach einer Niederlage etwas Positives zum Spiel zu sagen und in diesem Moment war ich einer von Ihnen. Man baut sich selbst auf, um neue Kraft zu finden, neuen Antrieb, um wieder anzugreifen.

Einige Tage später, bei einem Familienausflug ins nahegelegene Harderwijk, sollte die positive Grundstimmung allerdings erste Risse erhalten. Während Frau und Kinder durch die Fußgängerzone schlendern und ein Eis essen wollten, schnappte ich mir meine Spinnrute und versuchte mein Glück im Hafenbecken. Und noch bevor meine Familie sich von mir verabschiedet hatte, stieg mir erneut ein guter Fisch ein. Auf einen gelb-schwarzen Gummi erhielt ich eine massive Attacke und ein guter Hecht zeigte sich schon nach kurzer Zeit an der Oberfläche.

Der ein oder andere wird sich fragen:
Hafenbecken? Steht der etwa wieder weit oben über der Wasseroberfläche?
In der Tat, aber dieses Mal war ich besser vorbereitet. Direkt bei mir an der Spundwand befand sich eine Leiter, die mir Zugang zum Wasser gewähren würde, das Stahlvorfach war montiert und die Knoten auf Festigkeit geprüft. Ich hatte aus dem Erlebten gelernt und war fest davon überzeugt, dass dieses Mal nichts schief gehen konnte.

Schnell hatten sich einige Passanten um mich und meine Familie geschart, angelockt durch die aufgeregten Rufe meiner Kinder, die den großen Fisch an der Oberfläche mit ungläubigem Erstaunen kommentierten. Ein Schlauchbootfahrer wendete sein Boot, um seine Hilfe bei der Landung des Fisches anzubieten. Alles war vorbereitet für den Moment des Triumphes, das Foto des stolzen Fängers mit der Beute auf dem Arm.

 

Bissspuren des Hechts
Bissspuren des Hechts

Und während ich mir diesen Gedanken für den Bruchteil einer Sekunde erlaubte, schlitzte der Haken aus und der Fisch verabschiedete sich wieder in die Tiefen des Hafenbeckens. Achselzuckend wendete der Schlauchbootkapitän sein Gefährt, die Passanten verabschiedeten sich mit mitleidigen Blicken von dem Angler, der mit erhobener Rute und ungläubiger Miene zurückblieb, den Gummifisch mit den eindeutigen Bissspuren in der Hand – von mir.

Immer noch reichlich Zeit. Wieder vieles richtig gemacht. Einfach nur Pech gehabt. Beim dritten Mal klappt alles. Durchhalteparolen, wie sie eines Profi-Fußballers würdig wären – was blieb mir auch Anderes übrig.

Zwei Tage später war es soweit – es gab ein drittes Mal. Und es klappte…

… wieder nicht. Nach kurzem Drill löste sich auch der dritte Hecht meines Urlaubs in einem Krautfeld des Veluwemeers vom Haken. An diesem Tag fiel mir dann auch nichts mehr ein, um meine Enttäuschung in positive Motivation umzusetzen. Ich beendete meinen Angeltag recht früh und verlegte mich für den Rest des Urlaubs auf das Stippen mit den Kindern.

 

Die Brasse war dann der größte Fische des Urlaubs... für die Frau
Die Brasse war dann der größte Fisch des Urlaubs… für die Frau

Kleine Randnotiz: Den größten Fisch des Urlaubs fing meine Frau mit der pinken Angelrute meiner Tochter. Eine Brasse, weit von einem Meterhecht entfernt – und doch immerhin auf Foto gebannt.

Ob einer der Hechte den Meter geknackt hätte, kann ich natürlich nicht mit Sicherheit sagen. Ich rede mir aber ein, dass es nicht so ist.

Langsam kommt bei mir die Motivation zurück. Die Fotos im Kopf verblassen und machen Platz für neue Aufnahmen. Beim Angeln geht es – anders als beim Fußball – glücklicherweise nicht um Gewinnen oder Verlieren. Angler sind immer Gewinner. Jedes Mal, wenn wir am Wasser sind.

Und doch: da ist eine Rechnung offen geblieben. Mit den Hechten, mit dem Veluwemeer. Der Wunsch, die Bilder im Kopf endlich wieder neu zu erleben, wird mich schon sehr bald wieder ans Wasser treiben.

Denn Fußballer sind weise Menschen: „Nach dem Drill ist vor dem Drill.

6 Gedanken zu „Fotos im Kopf – oder warum Fußballer weise Menschen sind

  • Patrick Schmitz

    Toll geschriebener Erfahrungsbericht.
    So kennt es wohl jeder Angler
    Aber auch dort wieder schön zu sehen das die Lust und Vorfreude auf den einen „Endgegner“wieder steigt
    Alles Gute für dein Projekt😉

    Antwort
  • Sascha Grothaus

    Ein sehr gut geschriebener Artikel der glaube ich jedem Angler der schon mal den “einen” Fisch an der Angel hatte und ihn doch nicht landen konnte aus dem Herzen spricht….

    Aber wie schon geschrieben wurde wir sind immer Gewinner wenn wir am Wasser sind👍

    Antwort
  • Thomas

    Mega geschrieben und es zeigt einfach nicht aufgeben

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  • Heiko

    Top geschrieben…mit dem Erlebten wäre Dir bestimmt wenigstens ein Kapitel in Johannes Lohmöllers …die schönsten Fische ,die wir nicht gefangen haben …sicher gewesen…

    Man sieht sich am Wasser 👍…

    Antwort
  • Ingo Grunwitz

    Mega geschrieben
    Kann es direkt nach empfinden

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  • Im Juli wollte ich mit meiner Frau 3 Wochen im Yukon verbringen. Letztes Jahr verbrachte ich 3 Monate mit 2 Freunden. Unser Ziel, Goldwaschen. Unsere Claims sind im Yukon Mining Map Viewer zu finden. Natürlich haben wir unsere Speisekarte mit Forellen und Äschen erweitert. Nun wollte ich meiner Frau die Gegend zeigen, aber es kam Corona!

    Jetzt am Sonntag sollte ich für 4 Wochen nach Britisch Kolumbien, Kanada, zum Steelhead fischen, aber es ist Korona! Ich bin ein sehr geduldiger Mensch, aber langsam reicht es!!

    LG, Wolfgang

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