Kolumne: Vom Hinfallen und wieder Aufstehen
Mund abputzen, weitermachen! Krönchen richten, Prinzessin! So oder so ähnlich wird das Bildnis vom Hinfallen häufig genutzt, wenn es um die Bewältigung von Krisen, Misserfolgen und schwierigen Situationen im Generellen geht. In vielen Worten wird es ebenfalls genutzt, um negative Aspekte zu betonen: Unfall, Vorfall, Mordfall…
Beinahe inflationär nutzen selbsternannte Karrierecoaches, phrasendreschende Muntermacher oder vergeistigte Philosophen dieses Sprachbild in allen erdenklichen Formen, Variationen und Abwandlungen, so dass es vollkommen unmöglich ist, sie alle hier aufzuführen.
Indem ich nur darüber schreibe, was andere tun, hört sich meine Einleitung schon fast an wie ein weiteres der Pamphlete, die man ohne jeglichen Aufwand bei Google findet. Also: Schluss damit – was hat denn der Quark nun mit Angeln zu tun?
Genau das wollte ich eigentlich erzählen. Ich war während der vergangenen 6 Wochen drei Mal zum Angeln am Wasser. Nicht so oft, wie ich wollte, aber doch oft genug, um Einiges erlebt zu haben. Ist ja immer so beim Angeln.
Ich war also Anfang Dezember mit Dennis unterwegs, um die Zander zu ärgern. Voller Vorfreude am Wasser angekommen, packte ich schnell die Klamotten unter den Arm, die Tasche über die Schulter und los ans Ufer. Eingefasst von einer hölzernen Steganlage präsentierte sich der Spot trotz Nieselregen und Temperaturen im unteren einstelligen Bereich so verlockend, dass ich immer noch voller Vorfreude und Elan, bepackt mit Tackle und Ködertasche, schwungvoll auf die nassen Bretter des Stegs trete. Was dann passiert, sieht für meinen Begleiter aus, als wäre der Moment in Zeitlupe festgehalten:
Der linke Fuß rutscht weg – nach links. Der rechte Fuß folgt dem linken auf den Steg, rutscht ebenfalls weg – aber nach rechts. Unangenehm fällt mir auf, dass der Spagat sich wohl nur noch durch eine einzige Reaktion vermeiden lässt und mein Körper übernimmt instinktiv das Kommando: Grazil wie ein Rüsseltier lege ich also eine Sitzbulette hin, die so meine Oberschenkelinnenseiten auf Kosten meines Gesäßes vor schlimmeren Schmerzen schützt. Glück im Unglück, weder ich noch Tackle haben Schäden davongetragen.
Stattdessen kringelt sich meine Begleitung vor Lachen. „Ich wollte noch ‚Baum fällt‘ rufen“, bringt er mühsam japsend hervor, als er wieder zu Luft gelangt ist.
Und ganz abwegig ist das wohl nicht. Immerhin bin ich zwei Meter groß und von der Statur auch eher Modell deutsche Eiche. So einen haut nichts um, hört man da häufiger mal, oder „Kerl wie ein Baum“. Mag wohl sein, aber scheinbar hat der Mythos an diesem Tag erste Risse bekommen.
Nichtsdestotrotz: der Angeltag wird zu einem der Besten des Jahres 2020, zwei schöne Zander von knapp 70cm lassen sich von mir überlisten und auch Dennis kann neben einem schönen Zander auch noch einen guten Hecht auf die Schuppen legen.
„Es kann sich also lohnen, wieder aufzustehen“, behaupten die Coaches und Lebensberater bei Google. Klar, welche Option hat man denn auch? Einfach mal liegen bleiben, ein Nickerchen machen, schlägt zumindest ein kunstvoll gestaltetes Emaille-Schild vor, dass in einem Esoterik- und Deko-Onlineshop angeboten wird. Keine Option für einen Spinnangler! Wird sind ja nicht auf Karpfen, dass wir eine Liege brauchen! (Kein Angriff auf die Boiliefraktion natürlich!)
Eine Woche später bin ich wieder unterwegs. Diesmal mit meinem Bruder. Zander und Hecht waren die auserkoren Zielfische, die wir aktiv mit der Spinnrute überlisten wollten. Das Wetter war ähnlich wie zur Vorwoche, allerdings hatte es die Tage zuvor ebenfalls ordentlich geregnet, sodass der Boden aufgeweicht und – ihr ahnt es – rutschig war.
So nimmt das Verhängnis also seinen Lauf. Nach zwei Stunden Angeln steht ein Spotwechsel an und am neuen Spot kommt es, wie es kommen muss.
Kurzer Ausflug in den Physik-Grundkurs: wird eine Masse durch Kraft in eine Bewegung gezwungen, wird Kraft benötigt, um die Bewegung der Masse zu stoppen. Je größer die Masse, umso größer die benötigte Kraft.
Machen wir uns nix vor. Es gibt Masse, die nicht so einfach gestoppt werden kann. Mein Körper gehört scheinbar dazu. Es handelt sich hier um kritische Masse. Jedenfalls in diesem Moment, denn bei einer Gewichtsverlagerung am steilen und lehmigen Ufer von einem Fuß auf den anderen, verliere ich den Halt und gerate in eine Rotation, der mein Knöchel nicht folgen kann. Die Folge: mein Bruder muss mich bergen und nach Hause verfrachten, denn Auftreten oder Aufstehen ohne fremde Hilfe ist nicht möglich. Der Arztbesuch am kommenden Tag ergibt eine schwere Verstauchung, Salbe drauf und Schiene tragen. Krönchen richten, offenbar keine Option.
Auch hier aber wieder Glück im Unglück, denn von ernsteren Verletzungen bleibe ich erneut verschont. Aufstehen kann ich dann auch bald wieder. Zwischendurch mal – kurz. Ansonsten heißt es erstmal Bein hochlegen. Keine Chance mit dem Fuß ans Wasser zu kommen. Allmählich zeigen sich Entzugserscheinungen. Unruhe macht sich breit. Und so nutze ich die erste Chance, nach 4 Wochen Pause wieder loszuziehen.
Dennis begleitet mich und es läuft gar nicht schlecht. Beim Deadbaiten kann ich nach knapp zwei Stunden die erste Aktion des Tages verwerten. Der Drill verläuft nicht sonderlich spektakulär, aber auf der Abhakmatte zeigt sich eine Überraschung – 95cm bringt der stattliche Esox auf die Waage. Neuer PB, dazu die Premiere beim Deadbaiten, denn ich hatte zuvor noch nie mit totem Köderfisch geangelt.
Doch ganz ohne Blessuren sollte auch dieser Angeltag nicht enden:
Beim Zurücksetzen des Hechts knickt der angeschlagene Knöchel wieder um, Schmerzen schießen durch mein Bein. Ich gehe in die Knie, den Hecht wie eine Opfergabe vor mir darbietend, bevor ich dann endgültig zu Boden gehe. Der Hecht rutscht mir aus meinen Händen, gleitet aber elegant und unbeschadet über die Uferkante ins Wasser. Zurück bleibe ich und muss erstmal durchatmen. Aufstehen? Geht auch gleich noch. Ich nehme mir Zeit, der Schmerz lässt langsam nach, während ich noch am Boden sitze. Als ich mich dann langsam aufrappele, muss ich herzhaft lachen. Dennis prustet schon wieder los: „Schmeiß-dich-Wegmann!“, nutzt er meinen Nachnamen für kameradschaftlichen Spott zur Aufmunterung. Und nach einigen weiteren Wortspielereien stellen wir gemeinsam fest:
Aus dem Raubfisch-Angler Christian Wegmann scheint ein Plumps-Angler geworden zu sein.
Hoffen wir einfach mal, dass dies nur ein vorübergehendes Phänomen ist. Und doch sagt der Angler in mir: „ Wenn ich mich für solche Fische öfter mal unelegant in hoher Geschwindigkeit dem Boden annähern muss, wäre es mir das wert.“
Vielleicht sollte ich dann aber mein Tackle um entsprechende Schutzkleidung ergänzen. Ich denke, in der Eishockey-Abteilung eines Sportgeschäfts könnte ich fündig werden.
Natürlich nur, um nach dem Hinfallen einfach besser wieder aufstehen zu können und alles zu tun, was Karrierecoaches und phrasendreschende Muntermacher so gerne beschreiben.